Kleine Anatomie des Begehrens

 

 

Herr W. stand auf, zog seine Haut über, zu lange verharrte er schon in auswegloser Position, sein Auge unablässig gerichtet, manchmal zusammengekniffen, den Kontrastumfang steigernd, gelegentlich verschlossen, blinzelnd, der weichen Kontur entlang, ein Staubkorn aus dem Augenwinkel reibend, ein Schnitt, synkretistisch, komplettierend, simplifizierend, das Wesentliche, ein Teil für das Ganze, glaubte er, er wollte entscheiden, tat es auch, aber aus welcher Haltung heraus, gekrümmt, ein Raum-Zeit-Kontinuum, die vierte Dimension, die erotische Dimension, polymorph pervers, zerstückelt, die Offensichtlichkeit verborgen, verließ er sich, fühlte seinen Puls, er hatte entschieden, er wurde entschieden, sein Geschlecht, er konnte nur innerhalb der Möglichkeit die Unmöglichkeit ergreifen, Begehren, gern wäre er einmal gewesen, wie ein anderer gewesen ist, glaubte er, das Schwarz erlaubte ihm zu sein, wie er wollte und nicht wollte mit harten Schnitten, ohne Blut, oder zumindest wenig, leicht fiel es ihm zu, sein Fokus war verengt, eine Konstruktion, die erfüllt sein wollte, pulsierend, eruptiv, konvulsivisch, er blieb in Bewegung, in der Bewegung der Illusion, ein Loch, ein Rahmen, ein Kader, er wollte nicht marschieren um voraus zu sein, glaubte er, wohl sein Gesichtsfeld verändern, der alten Neugier verpflichtet, abliefernd, sich und sein Tag und Nachtwerk an Dich und sich, zusammengesetzt, dem Echo der Knochen lauschend wippte er mit seinem Spielbein aus seinem Standbein heraus, ein Schwerpunktjongleur, sein Hautich, sein ewiger Juckreiz, transmedial ging er hindurch, glaubte er, das Unsichtbare war weder dunkel noch geheimnisvoll, es war transparent, das Scharnier klappte ins Schloß, der Mechanismus der Schokoladenmühle strahlte wohlige Wärme ab, der komische Mythos, ein nackter Akt, eine Maschine erblühte erbarmungslos, eine Schönheit der Indifferenz, ohne Gleichen, einfach, zweifach, körperlich, Körper, zwei Worte, die gleich klingen, aber verschiedene Bedeutung haben, er wollte akzeptieren, sich, das Unbekannte, glaubte er, eine Form, eine Form der Erscheinung, eine projizierte Form der Erscheinung, mis en scène, mis à nu, ein Schmiermittel, ein Liebesbenzin für sein Motorverlangen, ein sinnvolles Placebo, glaubte er, nahm sein Bett und ging, er war, wo sein Auge war.

Dieser Text entstand in den Jahren 1995 - 1997

Rainer Wölzl
(Ausstellungskatalog Rainer Wölzl. Kleine Anatomie des Begehrens. Edition Galerie Ernst Hilger, Wien, 1999)